Von Abschlagsfreier Rente bis zu Werkverträgen - der Koalitionsvertrag sieht eine Vielzahl an Änderungen vor. Wir erläutern die wesentlichen Inhalte.

Die CDU/CSU und SPD haben am 27. November 2013 ihren Koalitionsvertrag für die 18. Legislaturperiode des Deutschen Bundestages vorgelegt. Dieser enthält zahlreiche arbeits- und tarifrechtliche sowie sozialpolitische Ankündigungen, die auch oder gerade für die Betriebe der Bauwirtschaft Bedeutung haben werden. Auf folgende Schwerpunkte, insbesondere aus dem Kapitel 2 des Koalitionsvertrages "Vollbeschäftigung, gute Arbeit und soziale Sicherheit" möchten wir besonders aufmerksam machen:

Allgemeinverbindlicherklärung von Tarifverträgen

Im Vordergrund der Überlegungen der Koalition für die Schaffung eines "modernen Arbeitsrechts" stehen eine Erleichterung der Allgemeinverbindlicherklärung von Tarifverträgen nach dem Tarifvertragsgesetz, eine Erweiterung des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes und eine allgemeine gesetzliche Mindestlohnregelung.

Die Koalitionspartner wollen das Instrument der Allgemeinverbindlicherklärung nach § 5 TVG zeitgemäß anpassen. In Zukunft soll es für eine Allgemeinverbindlicherklärung nicht mehr erforderlich sein, dass die tarifgebundenen Arbeitgeber mindestens 50 % der unter den Geltungsbereich des Tarifvertrages fallenden Arbeitnehmer beschäftigen. Ausreichend soll das Vorliegen eines besonderen öffentlichen Interesses sein. Das soll insbesondere dann gegeben sein, wenn alternativ

  • die Funktionsfähigkeit von gemeinsamen Einrichtungen der Tarifvertragsparteien (Sozialkassen) gesichert werden soll,
  • die AVE die Effektivität der tarifvertraglichen Normsetzung gegen die Folgen wirtschaftlicher Fehlentwicklungen sichert oder
  • die Tarifvertragsparteien eine Tarifbindung von mindestens 50 % glaubhaft darlegen.

Darüber hinaus sollen die einen AVE-Antrag stellenden Tarifvertragsparteien an den Beratungen und Entscheidungen des Tarifausschusses beteiligt und widersprüchliche Entscheidungen von Gerichten unterschiedlicher Gerichtsbarkeiten über die Wirksamkeit von Allgemeinverbindlicherklärungen dadurch vermieden werden, dass die Zuständigkeit für die Überprüfung von Allgemeinverbindlicherklärungen bei der Arbeitsgerichtsbarkeit konzentriert wird.

Diese Ankündigungen entsprechen weitestgehend den Forderungen des ZDB (vgl. unser mit Rundschreiben SPA 72/2013 vom 07.11.2013 versandtes Positionspaper zur Reform der Allgemeinverbindlicherklärung von Tarifverträgen). In einer ersten Bewertung hat die Arbeitgeber-Bundesvereinigung (BDA) erklärt, um die Funktionsfähigkeit gemeinsamer Einrichtungen der Tarifvertragsparteien, insbesondere von Sozialkassen, sicherzustellen, halte sie die angekündigte Präzisierung und Klarstellung des Begriffs des öffentlichen Interesse im Tarifvertragsgesetz für sinnvoll. Zu den übrigen Ankündigungen hat sich die BDA allerdings verhalten geäußert.

Arbeitnehmer-Entsendegesetz

Die tariflich vereinbarten Branchenmindestlöhne nach dem Arbeitnehmer-Entsendegesetz haben sich nach Auffassung der Koalition bewährt. Deshalb soll der Geltungsbereich des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes über die bereits dort genannten Branchen hinaus für alle Branchen geöffnet werden.

Gesetzlicher Mindestlohn

Ab 2015 soll - unter Berücksichtigung einer Übergangsfrist mit tariflichen Abweichungsmöglichkeiten bis zum Ende des Jahres 2016 - ein flächendeckender gesetzlicher Mindestlohn in Höhe von 8,50 € eingeführt werden. Dies wird mit der sinkenden Tarifbindung und zunehmend weißen Flecken in der Tariflandschaft begründet. Durch einen flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohn soll ein angemessener Mindestschutz der Arbeitnehmer sichergestellt werden. Die Mindestlöhne nach dem Arbeitnehmer-Entsendegesetz sollen von dieser gesetzlichen Regelung unberührt bleiben.

Bedeutung für die Bauwirtschaft könnte die Einführung eines gesetzlichen Mindestlohnes im Hinblick auf den eingeschränkten persönlichen Geltungsbereich des Mindestlohn-Tarifvertrages vom 3. Mai 2013 bekommen. Differenzierungen oder Ausnahmen von der gesetzlichen Mindestlohnregelung enthält der Koalitionsvertrag nicht. Der Bericht der Arbeitsgruppe Arbeit und Soziales sah dagegen noch vor, dass der gesetzliche Mindestlohn nicht für Auszubildende, für Praktikanten, die ihr Praktikum im Rahmen einer Schul- oder Studienordnung absolvieren, sowie für Schüler bis zum Ende der Schulpflicht gelten sollte. Für freiwillige Praktika außerhalb von Schul- und Studienordnung sollten nach dem Bericht dieser Arbeitsgruppe als Untergrenze einer angemessenen Vergütung bestehende und künftige Mindestlohnregelungen Anwendung finden.

In dem Koalitionsvertrag wird angekündigt, das Gesetz "im Dialog mit Arbeitgebern und Arbeitnehmern aller Branchen, in denen der Mindestlohn wirksam wird", zu erarbeiten und mögliche Probleme bei der Umsetzung zu berücksichtigen. Im Rahmen dieses Dialogs werden wir auf die notwendigen Ausnahmeregelungen drängen müssen. Die BDA hat dies ebenfalls bereits angekündigt.

Tariftreue im Vergaberecht

In dem Koalitionsvertrag wird darauf hingewiesen, dass auf Landesebene bereits Vergabegesetze bestehen, welche die Vergabe öffentlicher Aufträge von der Einhaltung allgemeinverbindlicher Tarifverträge abhängig machen. Die Koalition kündigt an, eine europarechtskonforme Einführung vergleichbarer Regelungen auch auf Bundesebene zu prüfen. Im Ergebnis dürften damit aber keine bürokratischen Hürden aufgebaut werden.

Tarifeinheit im Betrieb

Den von der arbeitsgerichtlichen Rechtsprechung entwickelten Grundsatz der Tarifeinheit im Betrieb wollen die Koalitionspartner nach dem betriebsbezogenen Mehrheitsprinzip gesetzlich festschreiben. Dabei sollen die Spitzenorganisationen der Arbeitnehmer und Arbeitgeber eingebunden werden.

Ein gemeinsamer Vorschlag der drei Tarifvertragsparteien des Baugewerbes zur Auflösung von Tarifkonkurrenzen bei Tarifverträgen über gemeinsame Einrichtungen, durch welchen bei einer solchen gesetzlichen Regelung den Belangen unseres Wirtschaftszweiges in besonderer Weise durch eine Vorrangstellung zugunsten von allgemeinverbindlichen Tarifverträgen Rechnung getragen werden könnte, liegt bereits vor.

Arbeitnehmerüberlassung

Für die gewerbsmäßige Arbeitnehmerüberlassung soll eine Überlassungshöchstdauer von 18 Monaten gesetzlich festgelegt werden. Zeitarbeitskräfte sollen spätestens nach 9 Monaten hinsichtlich des Arbeitsentgelts mit der Stammbelegschaft des Entleiherbetriebes gleichgestellt werden.

Zu dem bestehenden Verbot der gewerbsmäßigen Arbeitnehmerüberlassung im Baugewerbe enthält der Koalitionsvertrag keine Aussagen.

Werkverträge

Rechtswidrige Vertragskonstruktionen bei Werkverträgen sollen verhindert werden. Dazu soll die Prüftätigkeit der Kontroll- und Prüfinstanzen bei der Finanzkontrolle Schwarzarbeit konzentriert werden. Zur Erleichterung der Prüftätigkeit von Behörden sollen die wesentlichen durch die Rechtsprechung entwickelten Abgrenzungskriterien zwischen ordnungsgemäßem und missbräuchlichem Fremdpersonaleinsatz gesetzlich verankert werden.

Angesichts der zunehmenden Zahl von Ein-Mann-Betrieben hat der ZDB insbesondere eine stärkere Bekämpfung der Scheinselbstständigkeit gefordert. Dazu wird erfreulicherweise in dem Koalitionsvertrag angekündigt, zur Verbesserung der Bekämpfung der Steuerhinterziehung, des Sozialversicherungsbetruges, der Schwarzarbeit und der illegalen Beschäftigung die rechtlichen Rahmenbedingungen unter anderem im Schwarzarbeitsbekämpfungsgesetz und in der Gewerbeordnung sowie die personelle und informationstechnologische Ausstattung der Finanzkontrolle Schwarzarbeit zu verbessern und wirkungsvoller auszugestalten.

Befristung von Arbeitsverträgen

Der ZDB hatte gefordert, die Möglichkeit der sachgrundlosen Befristung von Arbeitsverträgen nicht nur aufrechtzuerhalten, sondern durch eine Anhebung der Höchstdauer und der möglichen Anzahl der befristeten Arbeitsverträge zu verbessern. Die SPD hatte dagegen in den Koalitionsverhandlungen gefordert, die bestehenden Möglichkeiten zur sachgrundlosen Befristung von Arbeitsverträgen ganz entfallen zu lassen. Der Koalitionsvertrag enthält nunmehr keinerlei Aussagen zum Befristungsrecht. Die Koalitionspartner verzichten somit auf die Beschränkung oder den Wegfall der sachgrundlosen Befristung von Arbeitsverträgen.

Teilzeitarbeit

Die bestehenden gesetzlichen Regelungen zur Teilzeitarbeit sollen weiter entwickelt werden. Es soll ein befristeter Teilzeitanspruch bei Kindererziehung und bei der Pflege von Angehörigen eingeführt werden. Die Darlegungs- und Beweislast bei dem Wunsch von Arbeitnehmern auf Verlängerung der Arbeitszeit soll auf den Arbeitgeber übertragen werden.

Elternzeit/Pflegezeit/Familienpflegezeit

Auch ohne Zustimmung des Arbeitgebers soll eine Elternzeit von 24 Monaten statt der bisherigen 12 Monate zwischen dem 3. und 8. Lebensjahr des Kindes in Anspruch genommen werden können. Die Möglichkeiten des Pflegezeit- und Familienpflegezeitgesetzes sollen zusammengeführt und als Rechtsanspruch ausgestaltet werden. Eine 10-tägige bezahlte Auszeit für Arbeitnehmer, die Zeiten für die Organisation einer neuen Pflegesituation benötigen, soll mit einer Lohnersatzleistung analog dem Kinderkrankengeld gekoppelt werden.

Mutterschutz

Das Mutterschutzgesetz soll mit dem Ziel einer Entbürokratisierung und einer transparenteren Gestaltung der gesetzlichen Regelungen reformiert werden.

Betriebliches Eingliederungsmanagement

Das betriebliche Eingliederungsmanagement soll durch eine größere Verbindlichkeit gestärkt werden.

Berufliche Bildung

Die Koalition kündigt an, die duale Ausbildung zu stärken und zu modernisieren. Sie werde das Berufsbildungsgesetz evaluieren und Anpassungen prüfen, insbesondere im Hinblick auf die Erhöhung der Durchlässigkeit, die Stärkung der Ausbildungsqualität und gestufter Ausbildungen, die Bildung von Berufsfamilien und die Sicherung des Ehrenamtes in den Prüfungsgremien. Die Koalition bekräftigt zudem den hohen Wert des Konsensprinzips in der Berufsordnungsarbeit von öffentlicher Hand und Sozialpartnern.

Die überbetrieblichen Berufsbildungsstätten und Kompetenzzentren leisten nach Auffassung der Koalition wichtige Beiträge zur Berufsorientierung und zur Unterstützung des ausbildenden Mittelstandes und sollen daher auf dem bisherigen Niveau weiter gefördert werden.

Rentenrecht

Nach Auffassung der Koalition stellt der demographische Wandel unserer Altersicherungssysteme vor besondere Herausforderungen. Das hohe Maß an sozialer Sicherheit im Alter, das wir heute in Deutschland haben, will die Koalition auch in Zukunft erhalten. Dazu müssten die Strukturen und Leistungen kontinuierlich an die Veränderungen in der Arbeitswelt angepasst werden. Die Koalition will in der Rente Anreize setzen, damit möglichst viele Menschen bei guter Gesundheit möglichst lange im Erwerbsleben bleiben und über ihre Steuern und Sozialbeiträge die finanzielle Basis der Alterssicherungssysteme stärken.

Abschlagsfreie Rente ab 63

In dem Koalitionsvertrag wird zwar die "Erfolgsgeschichte" der steigenden Beteiligung Älterer am Erwerbsleben betont. Diese Erfolgsgeschichte wolle die Koalition fortschreiben. Ihr Ziel sei eine moderne und wettbewerbsfähige Gesellschaft des langen Lebens und Arbeitens. Gleichwohl soll aber die bereits vorhandene Vertrauensschutzregelung zur Anhebung der Regelaltersgrenze wie folgt erweitert werden: Langjährig Versicherte, die durch 45 Beitragsjahre (einschließlich von Zeiten der Arbeitslosigkeit) ihren Beitrag zur Stabilisierung der Rentenversicherung erbracht haben, sollen ab dem 1. Juli 2014 mit dem vollendeten 63. Lebensjahr abschlagsfrei in Rente gehen können. Das Zugangsalter, mit dem der abschlagsfreie Rentenzugang möglich ist, soll schrittweise parallel zur Anhebung des allgemeinen Renteneintrittsalters auf das vollendete 65. Lebensjahr angehoben werden.

Anerkennung von Kindererziehungszeiten

Der Koalitionsvertrag sieht vor, ab 1. Juli 2014 für alle Mütter oder Väter, deren Kinder vor 1992 geboren worden, die Erziehungsleistung mit einem zusätzlichen Entgeltpunkten in der Alterssicherung zu berücksichtigen.

Solidarische Lebensleistungsrente

Langjährig in der gesetzlichen Rentenversicherung Versicherte, die 40 Jahre lang Beiträge gezahlt haben und dennoch im Alter weniger als 30 Rentenentgeltpunkte Alterseinkommen erreichen, sollen durch eine Aufwertung der erworbenen Rentenentgeltpunkte besser gestellt werden.

Erwerbsminderungsrente

Die Rentenansprüche von Erwerbsgeminderten sollen spürbar verbessert werden, ohne Fehlanreize für nicht zwingend notwendige Frühverrentungen zu schaffen.

Sozialabgabenbelastung

Die Vereinbarungen der Koalitionspartner zur sozialen Sicherung werden voraussichtlich zur Folge haben, dass die Beitragssatzsumme in der Sozialversicherung zum Ende der Legislaturperiode um insgesamt 1,1 Prozentpunkte höher liegen wird als nach geltendem Recht. Entgegen dem geltenden Recht soll der Beitragssatz in der Rentenversicherung im nächsten Jahr nicht um die möglichen 0,6 Prozentpunkte von 18,9 % auf 18,3 % gesenkt werden. Der allgemeine paritätisch finanzierte Beitragssatz in der gesetzlichen Krankenversicherung wird bei 14,6 % und der Arbeitgeberanteil bei 7,3 % gesetzlich festgeschrieben. Der kassenindividuelle Zusatzbeitrag wird zukünftig als prozentualer Satz vom beitragspflichtigen Einkommen erhoben. Die Koalition will den Beitragssatz zur sozialen Pflegeversicherung spätestens ab 1. Januar 2015 um 0,3 Beitragssatzpunkte anheben.

Europäische Sozialpolitik

In dem Kapitel 6 "Starkes Europa" betont die Koalition, im Rahmen des europäischen Wirtschafts- und Sozialmodells die Entwicklung gemeinsamer Prinzipien und Kriterien zur Bekämpfung von Lohn- und Sozialdumping unterstützen zu wollen, um Wettbewerbsverzerrungen auch zum Schaden von Unternehmen und Arbeitnehmern im Binnenmarkt entgegenzutreten. Zu den derzeit laufenden Verhandlungen über die Durchsetzungsrichtlinie zur Entsenderichtlinie kündigt die Koalition an, sich für das in Deutschland geltende hohe Niveau mit klaren Haftungsregeln, umfassenden Informationsrechten der Behörden sowie effizienten Kontrollrechten der Mitgliedsstaaten einzusetzen. Die Bekämpfung von möglichem Missbrauch dürfe nicht durch die Aufweichung von Kontrollbefugnissen erschwert werden. Der Missbrauch z. B. durch Briefkastenfirmen und Scheinentsendungen müsse entschlossen bekämpft werden. Das europäische Entsenderecht müsse so weiterentwickelt werden, dass das Lohnniveau, d. h. gleiche Entlohnung für gleiche Tätigkeit, und die Arbeitsbedingungen des jeweiligen Ziellandes gelten.

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