Ulrich Paetzold, FIEC: Aktuelle Themen der deutschen Bauwirtschaft in der EU

Ulrich Paetzold ist Hauptgeschäftsführer des in Brüssel beheimateten Verband der Europäischen Bauwirtschaft (FIEC). Diese Organisation vertritt Baugewerbe und Bauindustrie in 29 Ländern in Brüssel. Mit Ulrich Paetzold sprachen wir über aktuelle Themen in der Europäischen Union (EU). 

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Hans-Ulrich Kammeyer, Präsident der Bundesingenieurkammer, hat im Interview mit dieser Zeitschrift seiner Auffassung nach überzogene Regulierungen aus der EU beklagt. Hat er Recht? Und wie kommt es dazu?

In Brüssel herrscht dazu eine rege Diskussion, in die sich alle EU-Länder mehr oder weniger stark einbringen. Was dem einen zu stark reguliert ist, mag dem anderen wieder zu wenig reguliert sein. Insgesamt teile ich das verbreitete Pauschalurteil, die EU würde generell zu viele Regeln einziehen, nicht. Ich meine jedoch, dass die Prioritäten nicht immer richtig gesetzt werden. Das hängt auch damit zusammen, dass es immer wieder interessierte Kreise, zum Teil einzelne Unternehmen, aus EU-Mitgliedsstaaten gibt, die versuchen, ihre nationalen Probleme über Europa zu lösen. Da würde ich Deutschland nicht ausnehmen.

Hoffnung macht mir in dieser Lage das neue Konzept des EU-Kommissionspräsidenten Jean-Claude Juncker. Er hat angekündigt, dass sich Europa stärker als bisher auf den großen Rahmen und nicht mehr so stark auf die Kleinigkeiten konzentrieren will. Das Konzept gefällt mir, und ich hoffe, er hält es durch.

Haben Sie den Eindruck, dass wir eine Verschlankung der Eurocodes brauchen?

Ich bin als Jurist kein Eurocode-Fachmann und maße mir daher kein Urteil an. Aber nach dem, was ich von Baufachleuten in Brüssel höre, müssen wir diese Verschlankungs-Diskussion dringend führen. Dabei sollten wir uns aber auch an die in Europa festgelegten Verfahren halten. Das hat auch das jüngste Urteil des Europäischen Gerichtshofes (EuGH) gegen die Bundesrepublik gezeigt. Der EuGH stellte im Sinne eines freien Warenverkehrs klar, dass bereits mit dem CE-Zeichen ausgezeichnete Bauprodukte auch ohne weitere Anforderungen durch nationale Vorschriften in Deutschland verwendet werden können und dass erkannte Regelungsmängel oder -lücken über die vorgesehenen Verfahren zu regeln seien. Im Sinne eines freien Warenverkehrs hat der EuGH damit die deutsche Praxis gekippt, dass Bauprodukte in Deutschland über sogenannte Bauregellisten zusätzliche nationale Genehmigungen benötigen.

Wie ventilieren Sie die Prozesse denn als multinationale Organisation?

Die FIEC vertritt die Bauwirtschaft, das heißt Baugewerbe und Bauindustrie, über 33 Verbände in 29 Ländern, auch über die EU hinaus. Wir informieren die zuständigen Ansprechpartner über neue Entwicklungen und fordern zum Feedback auf. Die Akteure in den einzelnen Ländern beteiligen sich in sehr unterschiedlichem Maße an dieser Debatte. Dabei muss jedem klar sein, dass eine Nichtbeteiligung als Zustimmung zu den Inhalten gewertet wird. Es ist konstruktiver und letzten Endes auch effektiver, sich mit konkreten Vorschlägen einzubringen, und sich nicht nur pauschal zu beschweren. Wichtig ist dabei, dass man weiß, was man will und nicht nur, was man nicht will.

Die EU-Kommission prüft derzeit den Meisterzwang in gefahrgeneigten Gewerken. Hierzulande glauben viele, dass am Ende via Europa die Meisterqualifikation als Voraussetzung für das Betreiben eines Bau-Gewerbebetriebes abgeschafft werden soll. Wie beurteilen Sie das? 

Die EU-Kommission beurteilt die Anwendung der EU-Dienstleistungsrichtlinie in der Praxis. Das ist zunächst einmal ganz normal und wird regelmäßig bei allen Richtlinien durchgeführt. Ich habe keine harten Belege dafür, dass es in Brüssel konkrete Bestrebungen gibt, den Meisterzwang abzuschaffen, aber ausschließen kann ich das auch nicht. Allerdings ist es richtig, dass der Meisterzwang hier in Brüssel von nicht wenigen als ein Handelshemmnis angesehen wird.

Aber die EU-Kommission hat doch dementiert, dass sie die Abschaffung des Meisterzwangs betreibe...

Das war ein förmliches Dementi, weil es ja kein formelles Prüfverfahren wegen des Meisterzwangs gibt. Es geht der EU-Kommission darum, die verbliebenen Hemmnisse zu ermitteln, die den freien Dienstleistungsverkehr in Europa behindern. Da werden deutsche Unternehmen ebenso befragt, wie Wirtschaftsakteure anderer Länder. Bis Ende des vergangenen Jahres konnten Unternehmen aller Mitgliedsstaaten in einer Befragung alle Hindernisse angeben, die sie beim Arbeiten im Ausland behindern. Da mögen aus Deutschland Klagen wegen der belgischen TÜV-Vorschriften oder wegen dänischer Steuern kommen. Man darf auf der anderen Seite aber davon ausgehen, dass in europäischen Ländern der deutsche Meisterzwang in der Kritik steht. Und das ist nicht die einzige Hürde, die im Ausland beklagt wird. So fragen zum Beispiel Unternehmen, warum sie österreichischen Baustahl nicht in Deutschland oder deutschen in Österreich verwenden dürfen, nur weil die Normen etwas unterschiedlich sind.

Und was sagen Sie den Unternehmen, die sich darüber beschweren?

Einerseits habe ich volles Verständnis für diese Klagen, zumal dann, wenn die Probleme eher bürokratischer als inhaltlicher Natur sind. Andererseits ist es natürlich auch wie bei einem Hürdenlauf. Wer dort antritt, kann ja auch nicht verlangen, dass eigens für ihn die Hürden abgesenkt werden. Üblicherweise kommt dann der Hinweis auf Europa und das Ziel, die Hürden abzubauen. Daraufhin beschäftigen sich die professionellen Brüsseler Gesetzgeber und Standardisierer mit solchen Dingen und machen Vorschläge, die letzten Endes zu neuen Vorschriften und Standards führen. Dahinter steckt also keine böse Absicht, sondern der Wille, aufgezeigte Probleme zu beseitigen.

Und das deutsche Baugewerbe muss dann ein Downgrading von zuvor hohen deutschen Standards hinnehmen?

Ausländische Mitbewerber sehen oft die strengen deutschen Regeln zum Beispiel beim Verbraucherschutz als Handelshemmnis. Wenn deutsche Wirtschaftsakteure bestehendes, bewährtes nationales Regelwerk erhalten wollen, müssten sie sich meines Erachtens in Brüssel noch engagierter einbringen und um Unterstützung für ihre Regeln werben. Im Bereich der Baunormung arbeiten im Europäischen Komitee für Normung (CEN) vor allem Ingenieure der Baumaterialhersteller engagiert mit, Bauunternehmer sind dort in erheblich geringerem Ausmaße vertreten. Und Architekten und Ingenieure beteiligen sich praktisch gar nicht direkt an der europäischen Normungsarbeit im CEN. Natürlich wird viel über die Mitarbeit in den Spiegelausschüssen des Deutschen Instituts für Normung bewirkt, aber die direkte Mitarbeit in den technischen Ausschüssen des CEN kann das meines Erachtens nicht ersetzen. Die Baumaterialhersteller werden wissen, warum sie diesen Aufwand betreiben, und wer weniger Aufwand betreibt, wird damit leben müssen, dass andere die Agenda stärker bestimmen.

Noch einmal zurück zum Meisterzwang: Viele aus Europa schauen neidvoll auf das duale Ausbildungssystem in Deutschland und kämpfen im Unterschied zu uns teilweise mit hoher Jugendarbeitslosigkeit. Doch die duale Ausbildung hängt am Meistersystem. Das zeigt der Einbruch bei der Ausbildung im Fliesenlegerhandwerk. Wie beurteilen Sie das?

Ich mache in allen Sitzungen, in denen es um Jugendarbeitslosigkeit geht, darauf aufmerksam. Ich spreche hier in Brüssel stets die Vorzüge der Ausbildungssysteme in Österreich, Deutschland und der Schweiz an, die sich ja sehr ähnlich sind. Bemerkenswerterweise ist in allen drei Ländern die Jugendarbeitslosigkeit niedrig. Dabei weise ich auch darauf hin, dass die duale Ausbildung ein "Gesamtkunstwerk" ist, aus dem man nicht einzelne Teile herausschneiden darf – und dazu gehört das Meistersystem. Der Zentralverband Deutsches Baugewerbe und der Zentralverband des deutschen Handwerks sind hier in Brüssel auch sehr aktiv, diese Botschaft zu verbreiten und um Unterstützung zu werben. Und das zeigt nach meiner Wahrnehmung durchaus Wirkung.

Die EU-Kommission stellt nach dem Eindruck deutscher Verbandsvertreter Wachstum und Arbeitsplätze stark in den Vordergrund. Kann das deutsche Meistersystem hier unter die Räder kommen?

Wenn andere EU-Staaten Sympathien für den „Meister“ haben, so bezieht sich das sehr stark auf die Erfolge der dualen Ausbildung und die niedrige Jugendarbeitslosigkeit in Deutschland und Österreich. Und dabei sollte an Beispielen wie dem Fliesenlegerhandwerk aufgezeigt werden, das diese Erfolge nicht ohne Meister zu haben sind! Darüber hinaus muss deutlich gemacht werden, dass die Meisterausbildung ja auch betriebswirtschaftliche und juristische Kenntnisse vermittelt, die Menschen befähigt, erfolgreich ein Unternehmen zu gründen und erfolgreich zu führen. Das wissen viele im EU-Ausland nicht. Schlussendlich bürgen Meisterbetriebe in den Augen vieler für Qualität. Doch auch hier verändert sich die Landschaft in Europa ...

... wie meinen Sie das?

Ich beobachte zum Beispiel eine Entwicklung in Belgien. Hier, wo es keinen Meisterzwang gibt, sind viele polnische Bauhandwerks-Unternehmen aktiv und offiziell zugelassen. Sie haben inzwischen bei vielen Belgiern einen guten Ruf und werben auch ganz offen damit, dass sie polnische Unternehmen sind. Es dürfte schwer werden, diesen in Belgien zugelassenen Unternehmen den Zugang zum deutschen Markt zu verwehren. Abschottung wird letzten Endes wohl nicht zum Erfolg führen.

Der Baugewerbe-Verband Niedersachsen fürchtet, dass das Meistersystem nur noch als „Kann-Bestimmung“ bleibt...

Das kann man nicht ausschließen, so dass sich natürlich die Frage stellt, mit welchen „Plan B" auf eine solche Entwicklung, falls sie sich konkret abzeichnen sollte, zu reagieren wäre, um nicht alternativlos vor einem Scherbenhaufen zu stehen. Das Meistersystem wird durch den Nachweis seiner Qualität und des Mehrwerts für die Verbraucher überzeugen – und zwar im eigenen Markt und in Europa. 

Europa verbinden viele auch mit Schwarzarbeit. Was tun Sie hier als Verband in Brüssel?

Wir arbeiten gemeinsam mit den europäischen Sozialpartnern ständig gegen alles, was mit Scheinselbstständigkeit oder Schwarzarbeit zu tun hat. Wir diskutieren hier über eine europäische Kompatibilitätsplattform, über die nationale Baustellenausweise bei Kontrollen per Datenleitung sofort abgeglichen werden können, um herauszufinden, ob der Kontrollierte legal arbeitet. Auch ein europäischer Baustellenausweis wurde diskutiert. Doch hier haben viele Unternehmen und Länder Bedenken. Die einen fürchteten, dass hier eine totale Überwachung entstehe. Andere warnten vor hohem Verwaltungsaufwand. Ich hatte eine größere Zustimmung zu einer Europäischen Sozialkarte erwartet.

Und wie kommen wir im Kampf gegen die Schwarzarbeit weiter?

Wir arbeiten nun daran, wie nationale Ausweise Europa-kompatibel gestaltet werden können. Ich glaube, dass wir auf diese Weise einen Schritt weiterkommen können. Die Schweden verfügen schon seit längerem über einen datenfähigen Sozialausweis mit dem Namen ID06. Eingeführt wurde das im Bausektor und hat sich dort sehr bewährt. Die Schweden sind gerade dabei, eine Kooperation mit Finnland einzugehen, die volle Kompatibilität der nationalen Ausweise herstellt.

Noch eine europäische Frage: Die stark durch kleine und mittlere Unternehmen (KMU) geprägte deutsche Bauwirtschaft sieht sich insbesondere großen Projekten in Öffentlich Private Partnerschaften (ÖPP) der Konkurrenz durch holländische und französische Unternehmen ausgesetzt. Wie beurteilen Sie das von Brüssel aus?

Die FIEC vertritt diskriminierungsfrei Unternehmen jeder Größe. Ich höre bei ÖPP auch viel Zustimmung, weil die Öffentliche Hand kein Geld habe und durch ÖPP wenigstens überhaupt Mittel für Bauprojekte mobilisiert werden könnten. Es gehe ja hier nicht um die Frage, ob Projekte als Teillose vergeben würden oder nur im Ganzen. Es gehe um die Frage: „Gibt es diese Projekte, oder gibt es sie nicht?“ Deshalb verstehen hier in Brüssel manche die Ablehnung nicht, die aus Deutschland vorgetragen wird. Es könnte für KMU und deren Verbände aus meiner Sicht darum gehen, wie man kleinere ÖPP-Modelle entwickeln und dann dafür werben könnte, dass sie überhaupt zustande kommen. KMU sollten hier auch die Chancen für Aufträge zum Beispiel als Nachunternehmer sehen, die es ohne solche Projekte nicht gäbe.  

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