Mindestlohn: „die Herangehensweise ist absurd“

In einem Interview mit DIE BAUSTELLE fordert Carsten Linnemann, Vorsitzender der CDU-Mittelstandsvereinigung (MIT), Bürokratievereinfachungen beim Vollzug des Mindestlohngesetzes (MiLoG) und auch am Gesetz selbst. Insbesondere die Regelungen zur Auftraggeberhaftung seien „alles andere als praktikabel“.

Carsten Linnemann

In einem Interview mit dem Tagesspiegel hat Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles die Koalitionspartner aufgefordert, „stolz“ auf „eine der größten Sozialreformen der Geschichte“ zu sein und sich nicht „vom ersten Gegenwind“ verunsichern zu lassen. Teilt die MIT den Stolz der Bundesarbeitsministerin?

Wohl kaum, denn die Umsetzung des Mindestlohns läuft alles andere als glatt und unproblematisch ab. Dabei geht es nicht einmal um die 8,50 Euro selbst, sondern um neue bürokratische Auflagen, die das Arbeitsministerium über Verordnungen und damit ohne Mitwirkung des Parlaments auf den Weg gebracht hat. Natürlich muss die Einhaltung des Mindestlohns überwacht werden. Aber bitte mit Augenmaß!

In diesem Interview bezeichnet Nahles den bürokratischen Aufwand der Arbeitgeber mit dem neuen Mindestlohn als „überschaubar“. Die Bauwirtschaft spricht dagegen von einem „Bürokratiemonster“. Der Vorsitzende des Normenkontrollrates, Johannes Ludewig, spricht von einem „spürbaren Mehraufwand für die Wirtschaft durch die zusätzlichen Dokumentationspflichten.“ Wer hat Recht?

Ich bin dem Vorsitzenden des Normenkontrollrates jedenfalls dankbar für seine klaren Worte. Denn den spürbaren Mehraufwand gibt es in der Tat. Jeder Arbeitstag eines jeden Minijobbers muss nun zeitnah dokumentiert und dann zwei Jahre aufbewahrt werden. Und selbst dann, wenn Stundenlöhne von zehn, 15 oder sogar 20 Euro gezahlt werden, besteht Dokumentationspflicht. Kurzum: Selbst in den Bereichen, in denen der Mindestlohn überhaupt keine Rolle spielt, schlägt die Bürokratie-Keule zu. Die Unionsfraktion ist sich jedenfalls einig: die Arbeitsministerin muss jetzt dringend nachbessern. Sie muss endlich für die Praxistauglichkeit sorgen, die im Gesetzgebungsverfahren vereinbart worden war.

Zur Debatte steht der Schwellenwert, ab dem eine Dokumentation der Arbeitszeit erfolgen muss. Aktuell sind es 2.958 Euro im Monat. Bei 8,50 Euro in der Stunde muss jemand 29 Tage im Monat jeweils zwölf Stunden arbeiten. Warum ist ein solch unrealistischer Schwellenwert überhaupt beschlossen worden?

Das frage ich mich auch. Offenbar hat man sich an Extremfällen orientiert, wie beispielsweise an einem Arzt, der tarifliche Öffnungsklauseln nutzt und zudem Bereitschaftsarbeit leistet. Man kann es drehen und wenden wie man will, die Herangehensweise ist absurd und auch nicht damit zu entschuldigen, dass man eine Pufferzone einbauen wollte. Selbst der Zoll hat durchblicken lassen, dass er die jetzige Regelung für realitätsfremd hält – er will seine Kontrollen grundsätzlich auf Jobs richten, in denen unter 2.000 Euro monatlich verdient wird.

Genau deshalb fordert die Unions-Fraktion nun auf Antrag des Parlamentskreises Mittelstand einen Schwellenwert in Höhe von 1.900 Euro. „Wir werden nicht augenzwinkernd dem Missbrauch die Tür öffnen“, kontert die Arbeitsministerin solche Bemühungen. Ist eine Senkung des Schwellenwertes auch aus Ihrer Sicht eine Einladung zum Missbrauch?

Wer mehr als 1.900 Euro pro Monat verdient, kann selbst mit Überstunden nicht weniger als den Mindestlohn erhalten. In diesem Zusammenhang von Missbrauch zu reden, ist also abwegig. Überhaupt halte ich es für verheerend, wenn Unternehmen durch solchen Aktionismus unter Generalverdacht gestellt werden. In dieses Bild passt auch die Bemerkung der SPD-Generalsekretärin Yasmin Fahimi, die kürzlich noch den Unternehmern unterstellt hat, sie seien entweder Gauner oder zu doof, wenn sie über zu viel Bürokratie klagten. Hier wird abgrundtiefes Misstrauen deutlich, das nicht zuletzt zur Vergiftung des Arbeitsklimas in Deutschland beiträgt.  

Teilen sie die Befürchtungen von Alexander Bode, Vorsitzender des Jungen Wirtschaftsrates der CDU, dass das MiLoG in seiner jetzigen Form „Gründungswillige von Unternehmensgründungen“ abhalten könnte?


Junge Gründer sollten sich beim Aufbau ihres Unternehmens auf ihre Geschäftsidee konzentrieren können und nicht von Bürokratie an den Schreibtisch gefesselt werden. Deshalb kämpfen wir für eine "Schutzzone für Startups", mit der junge Unternehmensgründer in den ersten drei Jahren von Melde- und Informationspflichten befreit werden. Wir brauchen junge Gründer mit ihrem Mut zum Risiko und ihren innovativen Ideen und müssen ihnen Raum zur freien Entfaltung geben. Jede neue Belastung, wie die Mindestlohn-Bürokratie, läuft dem zuwider und verhindert unternehmerisches Engagement in Deutschland.  

Wie soll und muss das MiLoG aus Sicht der MIT angepasst werden, damit es für die Unternehmen – insbesondere kleinere und mittlere Handwerksbetriebe – zumut- und handhabbar ist?

Die Dokumentationspflicht bei Mini-Jobs soll entfallen, wenn für diese Jobs im Arbeitsvertrag der Mindestlohn und die Arbeitszeiten schriftlich fixiert wurden. Der Schwellenwert von knapp 3.000 Euro muss auf 1.900 Euro gesenkt werden. Ich gebe aber auch offen und gerne zu, dass ich auch am Gesetz selbst noch einige Korrekturen befürworte. Das gilt für die Regelungen zur Auftraggeberhaftung, die alles andere als praktikabel sind, aber auch für die Bestimmungen zu den Praktika. Da ist noch einiges im Unklaren, was zu großen Unsicherheiten führt.

Bis wann sollten entsprechende Änderungen auf den Weg gebracht sein?

So schnell wie möglich. Unsere Unternehmen brauchen Rechts- und Planungssicherheit. Daher machen wir uns dafür stark, dass die Dokumentationspflichten rückwirkend ab 1. Januar 2015 einschränkt werden.

Noch eine Frage zur politischen Prioritätensetzung: Sollte nicht zunächst das Personal der „Finanzkontrolle Schwarzarbeit“ auf Soll gebracht werden, bevor Unternehmen mit Aufzeichnungspflichten konfrontiert sind, die niemand kontrollieren kann?

Tatsächlich werden in der Bundeszollverwaltung eigens 1.600 neue Stellen geschaffen, um eben diese Kontrollen auszuüben. Mir sträuben sich bei dem Gedanken daran die Haare. Denn hier wird der Staatsapparat aufgebläht, um Unternehmen zu überwachen, während an anderer Stelle wichtiges Personal fehlt. Effizienz sieht anders aus.

Thema Tachographen-Pflicht, die ab März 2015 in Kraft tritt. Die Vorschrift war sicher gut gemeint und soll den Fahrern im Transportgewerbe nützen. Nun trifft sie aber auch kleine und mittelständische Unternehmen im Handwerk und Baugewerbe. Deren Verbände rechnen damit, dass rund ein Drittel dieser vielfach kleinen Betriebe Tachographen nachrüsten müssen. Wie stehen Sie dazu?

Die MIT hatte sich intensiv in den Gesetzgebungsprozess auf europäischer Ebene eingebracht. Natürlich hätten wir uns eine mittelstandsfreundlichere Ausgestaltung gewünscht, dies war aber angesichts der schwierigen Verhandlungen nicht möglich. Immerhin konnten wir erreichen, dass der Aktionsradius, in dem sich Handwerker mit Nutzfahrzeugen bis 3,5 t ohne Tachographen auf dem Weg zum Kunden bewegen dürfen, auf 100 kmausgedehnt wurde. Auch Baustellenfahrzeuge bis 7,5 t sind von der Tachografenpflicht ausgenommen. Gleichwohl müssen einige Betriebe digitale Fahrtenschreiber für Nutzfahrzeuge über 3,5 t nachrüsten.

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