Christian Linder: „Die Dokumentations-Bürokratie durch den Mindestlohn ist eine Unverschämtheit.“

BVN-Interview mit Christian Lindner, Bundesvorsitzender der FDP und Vorsitzender der FDP-Landtagsfraktion Nordrhein-Westfalen.

Christian Lindner

Herr Lindner, welche Bedeutung messen Sie der dualen Ausbildung bei?

Die duale Berufsausbildung hat weltweit Erfolgsgeschichte geschrieben. Sie bietet jungen Menschen eine exzellente Ausbildung und einen Berufseinstieg mit erfolgsversprechenden Aufstiegschancen. Es ist ein großer Fehler, die jungen Menschen ausschließlich auf die akademische Laufbahn zu fokussieren. Wir brauchen auch junge Leute, die als hoch qualifizierte Fachkräfte in unseren mittelständischen Betrieben arbeiten und sich von dieser Position heraus gute Karrierechancen erarbeiten können.

Wie und mit welchen Argumenten kann das Bauhandwerk aus Ihrer Sicht im Wettbewerb um junge Arbeitskräfte punkten?

Mit einer guten Ausbildung im Rücken bietet das Bauhandwerk viele Möglichkeiten für den individuellen Aufstieg. Die Berufe sind vielseitig, abwechslungsreich und gut bezahlt. Wer eine Ausbildung beginnt, kann mit Fleiß und Können zum Chef im eigenen Betrieb aufsteigen. Viele tausend Betriebe in Deutschland suchen einen Nachfolger oder eine Nachfolgerin.

Wie stehen Sie und die Bundes-FDP allgemein zum Meisterbrief?

Wir treten dafür ein, den Meisterbrief zu erhalten. Er ist ein wesentlicher Bestandteil unseres erfolgreichen und weltweit anerkannten Ausbildungssystems. Er ist also nicht nur ein Qualitätssiegel, das Vertrauen schafft. Er ist vielmehr Ansporn und Chance für junge Menschen, die sich nach der Ausbildung weiter qualifizieren wollen und die sich bessere Chancen auf ein eigenes Unternehmen oder eine herausgehobene Position in einem Betrieb erarbeiten wollen.

Und wie bewerten Sie Bestrebungen auf EU-Ebene, den Meisterbrief möglicherweise auch in gefahrgeneigten Gewerken abzuschaffen?

Eine Absenkung der Qualitäts- und Ausbildungsstandards ist mit uns nicht zu machen. Denn die vermeintliche Deregulierung führt im Ergebnis zu schlechteren Ausbildungsstandards, zu weniger Ausbildungs- und Arbeitsplätzen sowie zu einer schlechteren Dienstleistungsqualität. Was hätten wir davon, wenn sich jeder in die Handwerksrolle eintragen kann, aber sein Handwerk nicht versteht und die jungen Leute dann ohne Ausbildungsplätze auf der Straße stehen?

Sind solche Bestrebungen nicht ein Akt der paneuropäischen Deregulierung, den Sie als Liberaler begrüßen müssten? Wenn nein, warum nicht?

Wir sind ja für eine Koordinierung der Wirtschaftspolitiken – Europa bedeutet aber nicht, dass alle alles gleich machen müssen. Europa hat nur eine Chance, wenn den Mitgliedstaaten Luft zum Atmen bleibt und traditionell gewachsene Strukturen nicht rasiert werden. Für Europa hat der Meistervorbehalt doch wahrlich keinen systemrelevanten Charakter – für die eine Mio. Handwerksbetriebe in Deutschland, fünf Mio. Beschäftigten und 400.000 Auszubildenden bei uns aber sehr wohl. Wir können uns doch nicht an Systeme anpassen, die 20 oder 30 Prozent Jugendarbeitslosigkeit im Land haben. Wenn, dann sollte sich Europa an der Benchmark orientieren – und das ist unser Modell.

Ein Ärgernis im Bauhandwerk sind die Dokumentationspflichten im Zuge des Mindestlohngesetzes. Betriebe müssen bis in die Gehaltsregion von 2.958 Euro hinauf minutiös Buch über Arbeitszeiten führen. Hätten Sie da noch Lust, ein Bauunternehmen zu führen?

Die Dokumentations-Bürokratie durch den Mindestlohn ist eine Unverschämtheit. Schlimmer noch ist, dass Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles jeden Unternehmer jetzt unter Generalverdacht stellt, seine Mitarbeiter auszubeuten. Wo Gesetze nicht eingehalten werden, muss es Konsequenzen geben, keine Frage. Aber unser Mittelstand, unsere Handwerksbetriebe und die freien Berufe brauchen nicht mehr, sondern weniger Bürokratie. Was sich unsere Bundesregierung hier leistet, ist nicht akzeptabel.

Bauunternehmen haften nun auch dafür, dass ihre Subunternehmer den Mindestlohn zahlen. Diese Haftung erstreckt sich auch auf mögliche weitere Unternehmen beziehungsweise Leiharbeitnehmer, die der Subunternehmer beschäftigt. Ist das aus Ihrer Sicht zumut- und durchführbar?

Durch diese Regelung ist eine intransparente und kaum zu kontrollierende Haftungskette entstanden. In unserer arbeitsteiligen Wirtschaft brauchen wir die Flexibilität, Werkverträge und Zeitarbeit einzusetzen. Gerade im Baubereich ist es ja die Regel, dass ein Generalunternehmer unterschiedliche Betriebe heranzieht, um Teilleistungen zu erstellen. Ich kann mir kaum vorstellen, dass auftraggebende Unternehmen künftig die Lohnabrechnungen aller Subunternehmer überprüfen. Auch hier entsteht unnötiger bürokratischer Mehraufwand. Davon sollten wir die Betriebe besser verschonen!

Mietpreisbremse: Teilen Sie die Auffassung der Bundesregierung, dass die jüngst beschlossene Mietpreisbremse keine Investitionsbremse für das Bauwesen wird?

Nein. Es ist offensichtlich, dass diese Mietpreisbremse ein Hemmnis für Investitionen ist. Zudem leistet die Mietpreisbremse keinerlei Beitrag zur Lösung des eigentlichen Problems. Wenn an attraktiven Standorten die Wohnungsnachfrage zunimmt, das Angebot aber gleich bleibt, steigen unweigerlich die Preise. Dieses Dilemma lässt sich nur durch ein zusätzliches Wohnungsangebot positiv auflösen. Durch die Mietpreisbremse wird jedoch keine einzige Wohnung neu gebaut. Im Gegenteil: Potenzielle Investoren und Kleinvermieter, die etwas für ihre Altersvorsorge tun wollen, werden massiv verunsichert und in andere Anlagefelder abgedrängt. Mit diesem Gesetz setzt die Bundesregierung ihren Feldzug gegen die unternehmerische Eigenverantwortung und das Eigentum der Mittelschicht fort.

Und wie beurteilen Sie die Folgen für das Baugewerbe? Neubauten sind ausgeschlossen, aber welche Auswirkungen hat die Mietpreisbremse auf  Modernisierungen im Bestand?

Es ist sicher nicht davon auszugehen, dass Immobilienbesitzer ihre Wohnungen aufgrund der Mietpreisbremse mutwillig verkommen lassen. Eine Zurückhaltung bei Instandhaltungsmaßnahmen und Konzentration auf das Nötigste ist aber durchaus möglich. Hier spielen neben der Mietpreisbremse allerdings auch andere Aspekte eine Rolle, beispielsweise die hohen Anforderungen der Energieeinsparverordnung. Wenn alles nur teurer wird, wird die Investitionsbereitschaft nicht gerade angeregt.

Wie kann man aus Ihrer Sicht mehr Geld für Bauvorhaben und Infrastruktur mobilisieren?

Wir brauchen marktnahe Anreize für Wohnungsmarktinvestitionen. Aus unserer Sicht könnte die Wiedereinführung der degressiven Abschreibung (AfA) einen wesentlichen Beitrag leisten. Darüber hinaus sollte die Politik damit aufhören, ständig neue staatliche Vorgaben für den Wohnungsbau zu schaffen und diesen dadurch künstlich zu verteuern. Beispiel: Baunebenkosten. Namentlich die Grunderwerbsteuer, die in den vergangenen Jahren in verschiedenen Bundesländern in die Höhe geschnellt ist. So hat die rot-grüne Landesregierung in Nordrhein-Westfalen jüngst bereits zum zweiten Mal innerhalb weniger Jahre eine Grundsteuererhöhung durchgeführt. Kombiniert mit einer falschen Flächenpolitik sinken die Anreize, Eigentum zu erwerben.

Wie kommentieren Sie Forderungen, das mit Mitteln des 2019 auslaufenden Solidaritätsbeitrages zu tun? Wo könnte das Geld sonst herkommen?

Moment bitte. Der Solidaritätszuschlag muss zunächst für sich bewertet werden. Den Bürgerinnen und Bürgern wurde hoch und heilig versprochen, dass er nicht dauerhaft erhoben wird. Ich finde, Politiker müssen zu ihrem Wort stehen und jetzt auch Verantwortung übernehmen. Das ist auch ein Akt der politischen Hygiene, die erfolgreiche Aufbauleistung in den neuen Bundesländern nicht mit der größten Steuer-Lüge aller Zeiten zu belasten. Darüber hinaus muss man sehen: Der Staat hat so viel Geld, wie noch nie – und auch in den kommenden Jahren steigen die Steuereinnahmen rapide an. Unser Anliegen: Schluss machen mit neuen Wahlgeschenken, neuen Sozialleistungen und teurer Bürokratie. In den kommenden Jahren muss es einen Dreiklang geben aus Investitionen in Infrastruktur, in Bildung und eine steuerliche Entlastung der Mitte unserer Gesellschaft. So kommt Deutschland weiter voran und kann an der Wohlstandsentwicklung der vergangenen Jahrzehnte auch zukünftig anknüpfen.

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